top of page
Der Film

Synopsis

 

Winter, in einer ländlichen Gegend der Schweiz. Marina (Rachel Braunschweig), eine Lehrerin Mitte vierzig, führt mit ihrem Mann und ihrer Tochter ein beschauliches Familienleben. Doch der Schein trügt. Im Verborgenen hat sie eine Affäre mit Artem (Alexey Serebryakov), dem Vater ihrer Schülerin Ulyana (Masha Demiri). Beide leben seit Jahren ohne Aufenthaltsbewilligung am Rande einer Kleinstadt. Das Versteckspiel geht auf, bis Ulyana eines Tages des Diebstahls überführt wird. Ein Zwischenfall mit weitreichenden Folgen, der nicht nur die Lebensgrundlage von Artem und seiner Tochter zusammenbrechen lässt, sondern auch Marinas Anteil an den Geschehnissen ans Licht befördert. Hin- und hergerissen zwischen Lügen, Loyalität und Leidenschaft, entscheidet sich die Oberstufenlehrerin zu einem radikalen Schritt.

«Die Enthüllung einer scheinbar perfekten Gesellschaft.»
Cineuropa

Interviews

Rachel Braunschweig über ihre Rolle als Marina

SPAGAT erzählt von Schicksalsgeschichten rund um die Oberstufenlehrerin Marina. Was war für dich ausschlaggebend, die Rolle anzunehmen?

Das Drehbuch von Regisseur Christian Johannes Koch und Co-Autor Josa Sesink war für mich ausschlaggebend. Mich hat die Geschichte von Anfang in ihren Bann gezogen und ich hatte zudem sofort einen Draht zur Hauptfigur Marina. Es war für mich ein Glücksfall, diese etwas widerspenstige, in manchen Momenten ambivalent agierende Figur als Rolle angeboten zu bekommen. Zudem war die Zusammenarbeit schon in der Vorbereitung sehr intensiv. Wir begannen früh zu proben und konnten so die Figur in allen Facetten gemeinsam ausarbeiten. Christian Johannes Koch ist ein wunderbarer Filmemacher, von dem man hoffentlich noch viel hören wird.

 

Der wortwörtliche Spagat von Marina zwischen ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten erfordert ein hohes Maß an schauspielerischer Präzision. Wie hast du dich vorbereitet und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit deinen Spielpartner*innen?
Christian hat mich schon früh in den Schreibprozess der Drehfassung des Buches mit einbezogen. Das war aussergewöhnlich und toll. Zusammen mit dem Coach Giles Foreman habe ich mich auf die emotionale Achterbahn der Figur vorbereitet und wir hatten den Luxus, fast zwei Wochen vor Drehbeginn mit dem Hauptcast proben zu können. Mein Spielpartner Alexey Serebryakov spricht ausser Russisch praktisch keine Fremdsprachen. Das führte zu einigen sehr lustigen Situationen. Die Tatsache, dass wir uns entweder gar nicht oder nur mit einer Übersetzerin unterhalten konnten, hat aber auch dazu geführt, dass vor der Kamera umso mehr Nähe und Innigkeit entstanden ist.

 

Marina entspricht nicht den klassischen Frauenfiguren, denen man auch heute noch in vielen Filmen begegnet. Wie gingst du persönlich mit der Ambivalenz dieser Figur um?

In erster Linie war mir der Mensch Marina schon beim ersten Lesen vertraut. Diese Frau in ihrer ganzen komplexen Widersprüchlichkeit. Ich habe sie immer gemocht, gerade auch weil sie in ihrem Handeln alles andere als moralisch einwandfrei agiert. So ist aber das Leben, denke ich. Und es hat mir gefallen, dass ein junger Autor eine so komplexe Frauenfigur in der Mitte ihres Lebens zur Hauptfigur seines Films macht.

 

Die Frage wie sich moralische Werte verschieben können, wenn man unter Druck gerät oder sich in seinem Status Quo bedroht fühlt, zieht sich durch die Handlung. Hast du bei der Arbeit an dem Film eine Antwort gefunden?

Das Gemeine ist ja, dass sich im Leben – wie auch im Film – die Ereignisse manchmal überschlagen. Bei SPAGAT könnte man von einem Schneeballeffekt reden. Dieses Tempo verhindert wohl dann eben leider das reflektierte Betrachten der Geschehnisse im Moment. Ich denke, dass es uns in der Schweiz sehr gut geht und ich bin dankbar dafür. Gleichzeitig haben wir jedoch nie wirklich lernen müssen, zu teilen. Grosszügigkeit und die Sensibilität für soziale Gerechtigkeit mit in die Wiege gelegt zu bekommen, täte uns sicher allen gut. Ich versuche mich selber immer wieder in Demut zu üben, doch es fällt mir schwerer als es sollte.

Ganz generell, warum bist du Schauspielerin geworden?

Es gibt viele Gründe, aber vielleicht in erster Linie, weil ich zum Arbeiten und Kreieren eine oder einen – oder eben noch lieber mehrere – Sparringspartner*innen brauche. Meine Kreativität entfaltet sich im Austausch mit anderen. Ich liebe es, Geschichten zu erfinden und situativ Momente zum Leben zu erwecken. Die Arbeit bedeutet ein vollständiges Abtauchen in eine andere Realität. Sie fordert Leidenschaft und wenn man wieder auftaucht, hat man im besten Falle etwas erschaffen, das andere Menschen berührt. Sei es eine ganze Geschichte oder nur eine Szene, ein Blick oder ein Satz, die sie in ihren Alltag mitnehmen, worin sie sich gespiegelt sehen, wodurch sie in ihrem Denken angeregt und in ihrem Fühlen verstanden werden. Ich begleite sie also ein Stück durch ihr Leben mit den Figuren, die ich verkörpere. Wenn man dafür Applaus bekommt und anständig bezahlt wird, bedeutet das für mich ein grosses Glück.

 

Was war die grösste Überraschung bei den Dreharbeiten?

Die grösste Überraschung war sicher mein Spielpartner Alexey, der sobald die Kamera lief, eine Intensität zur Verfügung gestellt hat, die für mich wie ein Surfbrett war. Das war eine sehr spannende Erfahrung für mich.

SPAGAT_Marina (Rachel Braunschweig) füh

Regisseur Christian Johannes Koch über SPAGAT

«Bereits in meinen ersten Kurzfilmen habe ich den Fokus auf Menschen gelegt, die durch eine Selbstermächtigung versuchen, aus einem gesellschaftlich-ökonomischen System auszubrechen. Es sind dabei die alltäglichen, leisen Geschichten, die mich faszinieren. Die Frage, wie man als Individuum in einer Gemeinschaft Platz findet – im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und der Sehnsucht nach Unabhängigkeit – treibt mich persönlich um und prägte auch die Arbeit an meinem Debütspielfilm.

 

In SPAGAT prallen die sehr unterschiedlichen Geschichten zweier Familien aufeinander und verstricken sich zunehmend. Im offensichtlich zu Tage tretenden Widerspruch zwischen individueller Freiheit und persönlicher Verantwortung, werden letztendlich Entscheidungen getroffen, die universelle Fragen aufwerfen:

 

Bis zu welchem Punkt ist man jemandem zu Treue verpflichtet? Inwiefern kann die Loyalität gegenüber den eigenen Überzeugungen mit der Loyalität gegenüber der Gesellschaft oder sogar dem Gesetz kollidieren? Und wie entscheidet man sich, wenn man vor die Wahl gestellt ist zwischen dem Gesetz und dem, was man als gerecht empfindet?

 

Unser Gerechtigkeitsempfinden ist sehr individuell. Und es gibt leider keine Gerechtigkeit hinsichtlich der eigenen Herkunft – da wir uns alle nicht aussuchen können, wo und von wem wir geboren werden. Dabei spielen der Ort und die Nationalität, in die wir hineinwachsen, eine entscheidende Rolle in unserem Leben.

 

Schätzungen zufolge leben derzeit zwischen 90’000 und 250’000 Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere – sogenannte Sans-Papiers – in der Schweiz. Ihr Alltagsleben bleibt – per definitionem – weitgehend vor der Öffentlichkeit verborgen. In Problemsituationen haben sie nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, für ihre Rechte einzustehen, und in aller Regel setzen sie damit ihre Lebensgrundlage aufs Spiel. Stets von der Angst begleitet, entdeckt zu werden, leben Sans-Papiers deshalb in einer Parallelgesellschaft, in der ein auf den ersten Blick harmloser Zwischenfall, weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann.

 

Mein Debütfilm betrachtet – ausgehend von einem solchen Zwischenfall – ein Beziehungsgeflecht von Menschen mit und ohne Aufenthaltsberechtigung und beleuchtet anhand der Geschichte zweier Familien die strukturelle Gewalt eines Systems. Mir ist es wichtig, SPAGAT nicht als Themenfilm über das ungerechte Schicksal von Sans-Papiers zu verstehen. Mein Interesse gilt den Menschen als Individuen mit ihren ganz persönlichen Motivationen, Bedürfnissen und Ängsten als Teil unserer pluralen Gesellschaft. Es ist eine Geschichte über Treue und Verrat und der Sehnsucht nach einer Heimat. Sie erzählt von sozialen und emotionalen Abhängigkeiten genauso wie von Liebe und wirft eine uns alle betreffende Frage auf: Wo beginnt die eigene Verantwortung für das gemeinsame Zusammenleben?»

CJK-2020-03-[bw].jpg
_SPAGAT_und_Titleblock.png
bottom of page