Eugen (Dominique Jann) ist Ende dreissig und frönt in Prag, der Heimatstadt seines Vaters einem unbekümmerten Bohème-Dasein. Für den von ihm aufgebauten Musikklub lebt und brennt er – bis dort ein fatales Feuer ausbricht. Er ist gezwungen in die Schweiz zurückzukehren, um das Geld für die Renovation aufzutreiben. Bei seiner Rückkehr wird er mit seiner Familie konfrontiert, allem voran mit der Lebenslüge seines tschechoslowakischen Vaters Václav (Ivan Pokorný) und seiner reichen Tante (Heidi Maria Glössner), die ihr ganzes Erbe lieber für Waisenkatzen ausgibt.
Offizieller Kinostart: 12. Mai 2022
Hier geht's zu den Spielstätten
Regisseurin Fiona Ziegler über ihren Film
Wie kam es zur Geschichte, die du in LOST IN PARADISE erzählst?
Auf meinen langen Busreisen zwischen Prag und Bern habe ich viele Menschen getroffen, darunter einige 68er Emigranten sowie ihre unterdessen erwachsenen Kinder. Dadurch durfte ich viele beeindruckende, aber auch skurrile Geschichten erfahren und erleben, die ich in den Film einfliessen liess. Natürlich kam auch einiges Autobiografisches dazu. Der Aspekt, zwischen zwei Kulturen zu Hause, aber nirgendwo richtig angekommen zu sein, hat mich geprägt. Und natürlich haben mich auch die Filme der tschechoslowakischen Neuen Welle der 60er Jahre beeinflusst, deren Poesie und Humor, wie auch das französische Autorenkino der Nouvelle Vague, insbesondere von Jean-Luc Godard und das italienische Kino der 60er und 70er Jahre. Dazu kam, dass ich jeweils, wenn ich wieder zurück in der Schweiz war, mit Unverständnis oder Vorurteilen bezüglich “Osteuropa” konfrontiert wurde. So verschärfte sich mein Blick, der kinematisch zum Blick des verlorenen Sohns, des Heimkehrers und des Antihelden Eugen wurde.
Was ist für dich die Kernbotschaft deines Films?
Die Gratwanderung zwischen dem ehemaligen Ost- und Westeuropa, der Mauerfall und die festgesetzten Vorurteile gegenüber ehemaligen Ostblockstaaten, die Geschichte einer Emigration und der Versuch sich in der Schweiz einzugliedern und anzupassen, erzählt mit der Figur des Vaters. Dann der Aspekt der Folgegeneration, erzählt mit den Figuren Eugens und Jakobs, die zwischen zwei Ländern und Mentalitäten und mit der Frage nach Heimat aufgewachsen sind. Und die Aufarbeitung der zwischenmenschlichen Beziehungen, sowohl im familiären wie auch im romantischen Sinne.
LOST IN PARADISE lässt sich nur schwer einem bestimmten Genre zuordnen. Das ist ziemlich mutig für einen Debütfilm. Weshalb hast du dich dafür entschieden?
Seit Georg Büchners Theaterstück Woyzeck interessiert mich das Genre der Tragikomödie. In Prag hatte ich heftige Diskussionen mit einem Regieprofessor, der darauf beharrte, dass die Groteske dasselbe sei wie die Tragikomödie. Ich verneinte und suchte somit meine eigene Form. Ich bin vom Autorenkino geprägt und fasziniert. Dem caméra-stylo. Diese fast autodidaktische, analoge Machart wurde im Prager Regiedepartement der FAMU gefördert. Es ging dabei darum, sehr frei zu sein und mindestens zwei Autorenkurzfilme pro Jahr zu schreiben und zu produzieren. Die Dramaturgie und das Drehbuch waren dabei weniger wichtig als die Atmosphäre, die Filmsprache und die Poesie des Films. Natürlich war die Aussage der Geschichte grundlegend, aber wie man dazu kommt, war uns selbst überlassen. Ziel war es, dass wir unsere eigene Filmsprache finden. In dieser Tradition entstand LOST IN PARADISE. Mit meinem Ziel, eine Tragikomödie zwischen zwei Ländern zu drehen, wobei der Antiheld als Protagonist wichtig war (ein Schwejk-tschechisches Element), schrieb ich darauf los, ohne zu wissen, wie man einen Langspielfilm dramaturgisch und szenisch korrekt aufzulösen hat. Diese Herangehensweise ermöglichte mir eine grosse Narrenfreiheit, aber brachte mich auch manchmal an den Rand der Verzweiflung – denn wie konnte ich erklären, was ich vorhatte, bevor ich es nicht in der Mise-en-Scène inszenieren durfte? Ein steiniger Weg, der sich aber gelohnt hat.
Was war für dich die grösste Herausforderung während der Dreharbeiten?
Die Vielsprachigkeit. Ich musste auf dem Set von Tschechisch auf Englisch, oder von Deutsch auf Schweizerdeutsch wechseln und das oft von Minute zu Minute. Ausserdem sind die tschechische und die schweizerische Filmkultur verschieden. Nicht nur die Sprache, sondern auch die Arbeitsweise und das Verständnis der Hierarchie und des Tons auf dem Set sind unterschiedlich.
Auch du lebst wie Eugen zwischen der Schweiz und Tschechien. Wie sehr hat dich deine eigene Geschichte zum Film inspiriert?
Meine eigenen Ängste und Unsicherheiten waren sicher die federführende Kraft und das Element, was mich dazu bewog, niemals aufzugeben und weiterzumachen. Ich wollte verstanden werden, die sprachliche und kulturelle Isolation brechen und meine humorvolle, verspielte Seite aufleben lassen.
Wie verlief die Besetzung der Rollen? Hattest du bereits bestimmte Schauspieler:innen im Kopf, als du das Drehbuch geschrieben hast?
Ich hatte Heidi Maria Glössner als Tante Lisi im Kopf, ebenfalls Uwe Schönbeck als Udo mit dem Krokodil Karlchen. Ich kannte diese Schauspieler aus dem Theaterensemble des Berner Stadttheaters, wo ich einst in Regie hospitiert hatte. Der Tscheche Ivan Pokorný als Václav war ein Glücksfall, denn ich wusste, dass die Vaterfigur von einem Schauspieler interpretiert werden musste, der selbst die Emigration erfahren hat und das richtige Deutsch mit tschechischem Akzent spricht. Für die Rolle des Eugens machte ich zwei Jahre vor Drehbeginn ein Kamera-Casting in Bern, wobei mir Dominique Jann sofort auffiel.
Wem würdest du LOST IN PARADISE empfehlen?
Allen die interessiert sind an einer Reise zwischen Tschechien und der Schweiz. Allen 68er
Tschechoslowaken in der Schweiz und allen Zurückgekehrten nach ’89. Allen Schweizer:innen, die
damals mit den 68er Emigrant:innen sympathisiert haben und die Filme der Tschechoslowakischen Neuen Welle kennen, sowie allen, die Knight Rider mochten und sich an den Fall der Berliner Mauer erinnern – also meine Generation.